Die Abstracts und CVs als pdf finden Sie hier.

 

MITTWOCH | 29.01.2020 | 15–21 Uhr

Schreyvogelsaal, Hofburg, Batthyánystiege, 1010 Wien

15:00 Eröffnung

15:20 IMPULSVORTRAG Mădălina Diaconu (Univ. Wien): SpaceScapes. Kraftlinien in den zeitgenössischen Raumtheorien

16:00 Katrin Dennerlein (Julius-Maximilians-Univ. Würzburg): Motility und Movement im Erzählen

Lange wurde Bewegung in der Literaturwissenschaft nur im Zusammenhang mit dem Bachtinschen „chronotops“-Begriff und mit Lotmans Raumsemantik verhandelt. Das rezente Forschungsfeld der mobility studies eröffnet nun jedoch neue Perspektiven auf narrativierte Bewegung. Insbesondere die Unterscheidung von motility, movement und mobility als Bewegungsfähigkeit, Bewegung im geographischen Raum und kulturelle Bedeutung von Bewegung bietet einen sehr guten Ansatzpunkt für die Untersuchung von Raum, Handlung und Bedeutung. Im Vortrag soll der Nutzen der Verbindung von narratologischen Raum- und Bewegungsanalysen und Ansätzen aus den mobility studies am Beispiel von Christian Krachts Roman „Imperium“ exemplifiziert werden.

 

16:40 Kaffeepause

 

SESSION 1 (Chair: Norbert Bachleitner, Univ. Wien)

17:10 Juliane Werner (Univ. Wien): Bedrohlicher (Be-)Handlungsort: Raumkonstruktion und Psychiatriekritik in Thomas Bernhards ‚Steinhof‘-Darstellungen

Seit ihrer Eröffnung 1907 während der Habsburgermonarchie, in der Ersten Republik, in den Jahren des Nationalsozialismus, der Nachkriegszeit und der Ära der Deinstitutionalisierung bis in die Gegenwart wird die psychiatrische Einrichtung ‚Am Steinhof‘ (Otto-Wagner-Spital) von österreichischen SchriftstellerInnen (einige unter ihnen zugleich PatientInnen) literarisch aufgesucht. So haben unter anderem Joseph Roth, Elias Canetti, Thomas Bernhard, Werner Kofler, Gerhard Roth und Brigitte Schwaiger fiktionale, autofiktionale und autobiografische Porträts über das Leben am Rande der Stadt Wien verfasst. Mit Ausnahme einiger Darstellungen des (Be-)Handlungsortes als mehr oder minder sicherer Hafen vor der Außenwelt, bahnen sich – dem medizin- und soziohistorischen Wandel entsprechend – bald Aufdeckungsberichte den Weg an die Öffentlichkeit, deren Ambition, inhumane Bedingungen (medizinische Fehlbehandlungen, emotionalen Missbrauch und dürftige Unterbringungszustände) aufzuzeigen, in den 1970er und 80er Jahren eine stark antipsychiatrische Ausrichtung erkennen lässt. Besonders deutlich äußert sich diese Tendenz bei dem Autor Thomas Bernhard, in dessen Texten vor allem die Raumdimension ‚Steinhofs‘ – in architektonischer, milieuspezifischer, künstlerisch-intellektueller und körperlich-sinnlicher Sicht – dazu dient, Kritik an Staat und Gesellschaft erfahrbar zu machen.

17:50 Christoph Leschanz (Univ. Wien): Sprachraum und/oder Feld: Zur Problematik der territorialen Abgrenzung innerhalb der Literatur

Debatten über die Eigenständigkeit nationaler Literaturen sind wechselnden Konjunkturen unterworfen. Dabei spielt die Frage nach der sinnvollen territorialen Abgrenzung im literarischen Betrieb eine zentrale Rolle. Einerseits führt die zunehmende Globalisierung des Literaturmarktes dazu, dass nationale Grenzen an Bedeutung zu verlieren scheinen, andererseits wird im Zuge der Postcolonial Studies versucht (im englischsprachigen Raum schon bedeutend länger als im deutschsprachigen), ehemals „randständige“ und kaum beachtete Teile des Literaturbetriebes in den Mittelpunkt zu rücken, durchaus auch um die Eigenständigkeit nationaler Literaturen zu betonen (mit unterschiedlichen Motivationen). Nebenbei wird im Zuge der Globalisierungsdebatte jedoch auch immer öfter auf die Bedeutung einer neuen Regionalität verwiesen. Einerseits scheint man sich also von nationalen literarischen Identitäten zu lösen und andererseits deren Bedeutung wieder hervorzuheben.

Diesem Problem wird mit einer Verschiebung der Grundfrage begegnet: Nicht die Literatur steht im Mittelpunkt, sondern das literarische Feld, in dem der Wert des Kunstwerks und der Glaube an das Kunstwerk überhaupt erst produziert werden. Damit rückt der literarische Betrieb in den Mittelpunkt, gemeinsam mit seinen spezifischen Positionen und Positionierungen und vor allem dem Kampf um diese Positionen durch die Akteure und Akteurinnen. Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern die territoriale Abgrenzung unterschiedlicher Staaten so spezifische Lebensrealitäten produziert, als dass man von einem eigenständigen literarischen Feld sprechen kann – oder nicht.

18:30 Julian Dressler (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Univ. Bonn) / Andreas Schmitz (RWTH Aachen): Erfahrung – Form – Geschmack. Eine quantitative Analyse der Struktur und Rezeption von Gedichten

Klassische Theorien der Bewertung von Schönheit im Allgemeinen und kultureller Produkte im Speziellen, wie die von Hume oder Kant vorgebrachten, begründen die intersubjektiv nachvollziehbare Bewertbarkeit von Objekten als ästhetisch oder unästhetisch mit der Möglichkeit, die Form dieser Objekte abstrahiert von deren Inhalt wahrzunehmen. So unterstellen formalästhetische Theorien, dass ein ästhetischer Genuss durch spezifische strukturelle Merkmale der betrachteten Objekte induziert würde. Zur Untersuchung dieser These entwickeln wir eine Strategie zur Rekonstruktion struktureller Momente und ihres etwaigen Einflusses auf die Bewertung von Rezipienten am Beispiel neuzeitlicher deutschsprachiger Gedichte. Die strukturellen Momente der Durchformung neun ausgewählter Gedichte werden dabei zunächst mittels Verfahren der Netzwerkanalyse rekonstruiert. In einem nächsten Schritt beziehen wir die strukturellen Eigenschaften dieser Gedichte auf Bewertungen derselben Gedichte, die in einer Umfrage erhoben wurden. Unter Rückgriff auf statistische Verfahren der Feldanalyse konstruieren wir einen Raum der Bewertungen und betrachten dabei, inwieweit sich die unterstellten Zusammenhänge zwischen den Bewertungen und den strukturellen Parametern beobachten lassen. Wir schließen mit einer Reflexion über die kulturellen und sozialen Voraussetzungen der Bewertung von Literatur durch Laien und Experten.

 

19:15 Abendempfang

 

DONNERSTAG | 30.01.2020 | 9–18 Uhr

Schreyvogelsaal, Hofburg, Batthyánystiege, 1010 Wien

9:00 KEYNOTE 1 Hans Peter Hahn (Goethe-Univ. Frankfurt am Main): Zwischen Materialität und Raum. Die Grenzen des Relationismus und mögliche Erweiterungen der Assemblage-Theorie

Die Schlagwörter „material turn“ und „spatial turn“ bezeichnen zwei wichtige Trends in den Kulturwissenschaften der letzten 30 Jahre. Tatsächlich handelt es sich dabei um „Wenden“, insofern diese Trends zugleich bisherige Praktiken und Theorien kritisieren und für eine substanzielle konzeptuelle Innovation sorgen. Der Vortrag gibt nicht den Raum, um diese Wenden hinreichend zu charakterisieren. Es soll allerdings doch darum gehen, einige Implikationen aufzuzeigen, die weniger für die Generierung neuer Theorien stehen, sondern Indikatoren für die Marginalisierung von bisher bedeutungsvollen Grundannahmen sind.

Beispielsweise steht die Akteur-Netzwerk-Theorie für eine neue Sicht auf die Bedeutung des Materiellen in der Entfaltung sozialer und gesellschaftlicher Strukturen. Gleichzeitig ist sie jedoch geeignet, einen Raumbegriff zu unterlaufen. Paradoxerweise ist die Stärkung des Blickes auf das Materielle zugleich eine Schwächung ihrer räumlichen Dimensionen. Indem Gegenstände durch ihre Relation zu anderen Gegenständen konzipiert werden, gerät die Perspektive der Unverfügbarkeit in den Hintergrund. Etwas anders gelagert ist die Problematik der „Assemblage“. Diese Theorie ist auf den ersten Blick sehr gut geeignet, um der Gefahr des Monismus zu entgehen, zugleich aber fehlt auch ihr ein Konzept der räumlichen Dimensionen, wie es zum Beispiel in den Begriffen „Nähe“ und „Ferne“ zum Ausdruck kommt. Der Vortrag ist mithin eine Einladung, neue Konzepte auf ihren Nutzen aber auch auf ihre Grenzen hin zu befragen.

 

10:00 Kaffeepause

 

SESSION 2 (Chair: Alexander Marx, Univ. Wien)

10:30 Martin Fitzenreiter (Münster/Westf.): Raumpraxis in pharaonischer Zeit

1. Raum als Erfahrung – Raum als Aktant Raum wird erfahren und über diese Erfahrung real (damit ist er der Zeit ähnlich). Interessant ist, wie divers die Erfahrungen des Raumes sind und wie diese Erfahrungen kulturell determiniert werden: Man erlebt den Raum anders, wenn man ihn durchschreitet, auf einem Rad durchfährt, auf einem Pferd sitzend, in einem Auto, Flugzeug; man erlebt ihn anders, wenn man ihn mit einem Bild (Karte) oder Modell (3D) erfasst usw. Das heißt, Raum wird durch Aktivität im Raum erfahren: durch Raumpraxis. Diese Raumpraxis wird durch Medien gestaltet. Diese Medien sind Eigengesetzlichkeiten unterworfen und strukturieren die Raumpraxis, schaffen und verfestigen Erfahrungen: Karte, GPS, Reiseführer, Pass. Medien indizieren den Raum und über diesen Index kommuniziert er mit uns. Indem diese Medien die Erfahrung des Raumes gestalten, sind sie Aktanten bzw. Akteure im Sinne der ANT.

2. Archäologie der Raumpraxis Das Paradox der Archäologie ist, dass sie die Auseinandersetzung von Menschen und Dingen in der Vergangenheit erforscht, dabei aber eine ganze Seite/Hälfte der Akteurs-Netzwerkskonstellation stumm bleibt: der Mensch. Um die Bedingungen, Resultate usw. der antiken Auseinandersetzungprozesse zu erforschen, müssen wir uns den Dingen zuwenden und diese als gleichberechtigte Partner der Akteurskonstellation verstehen lernen. Die besondere Bedeutung von Raumpraktiken liegt dabei darin, dass sie quasi ganz am Anfang jeder Akteurskonstellation stehen. Schon die Bezeichnung Akteurs-„Netz“ entwirft ein räumliches Gebilde. ArchäologInnen können ihren Forschungsgegenstand nur als das „Gegenüber“, „Dahinter“, „Dazwischen“ usw. der Befunde rekonstruieren

3. Beispiel An einem Beispiel sollen einige Aspekte der Raumpraxis im Befund konkretisiert werden. Da sich Bilder für die Kommunikation eignen, wird das Beispiel wohl der Dekoration von Sakralgebäuden entstammen, deren Raumindizes zwar mitunter banal sind, aber Unterhaltungswert besitzen. Es geht darum, möglichst nachvollziehbar zu zeigen, wie sehr Raumpraxis ein Aushandlungsprozess ist, der a) durchaus kulturell verfestigte Regeln folgt, doch b) jederzeit den Spielraum solcher Regeln neu setzt.

11:10 Kristina Hutter (Univ. Wien): Topologische Zugänge zu altägyptischen Jenseitsvorstellungen

Die Raumkonstruktion in den Pyramidentexten reflektiert eine enge Verbindung zwischen der Konzeptualisierung von Raum und der Konzeptualisierung von Zeit, indem die geschilderten Handlungszusammenhänge häufig in eine an Naturphänomenen orientierte und in diesen Fällen raumzeitlich fixierte Matrix eingebettet sind. Implikationen eines zyklischen Zeitablaufs, die zum Beispiel aus Schilderungen über Himmelskörper und der Unterscheidung zwischen Tag und Nacht hervorgehen, dienen ÄgyptologenInnen häufig als struktureller Rahmen um Rauminformationen aus den Texten in topographische Karten eines fiktionalen Jenseitsraumes einzubetten. Hier wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die erwähnten Orte als (meta)physische Orte gedacht wurden, die nach denselben physikalischen Regeln erreichbar sind, wie die Orte des Diesseits.

Es kann sich hierbei aber genauso um metaphorische Konzeptionen handeln, die Entwicklungsstufen in verschiedenen Existenzbereichen des Jenseits reflektieren, und die als überlagernde und simultan koexistierende Schichten verstanden wurden, losgelöst von einer diesseitig raumzeitlichen Logik: Das gelangen von A nach B ist hiermit nicht notwendigerweise eine Sache der Bewegung im Raum, sondern der Veränderung der Lage. Der inkohärente Sprung, der eine Veränderung der raumzeitlichen Wahrnehmung im Sinne David Harveys "time-space compression" bewirkt, basiert hierbei lediglich auf einer topografischen Fixierung von Distanzen. Alternativ soll hier von einer topologisch-relationierenden Perspektive hinsichtlich konstruierter Räumlichkeiten in den Pyramidentexten ausgegangen werden.

Vor diesem Hintergrund wird eine Simultanität des parallelen Nebeneinanders verschiedener Ereignis- und Handlungsrealitäten innerhalb eines relativen raumzeitlichen Bezugsrahmens beschrieben. Diese dient als Ausgangspunkt einer topologischen Anschauung der Pyramidentexte. Auf dem aufbauend werden Unterschiede zwischen topologischen und topografischen Implikationen in den Pyramidentexten angesprochen, sowie Raumrelationen und topologische Raumstrukturen exemplarisch diskutiert.

11:50 Nora Kuch (Univ. Wien): Grabraum – Ritualraum. Zum intentionellen Fragmentieren von Steingefäßen im Kontext frühzeitlicher Bestattungen (Ägypten)

Die Analyse ephemerer, also kurzlebiger, idealisierter Dimensionen in gebauten Räumen gestaltet sich insbesondere in archäologischen Quellen als Herausforderung. Der sogenannte spatial turn betont dabei Raum als sozial konstruiertes Gefüge, in dem Menschen und Dinge miteinander in dynamischen Interaktions- und Abhängigkeitsverhältnissen stehen.

Darüber lassen sich auch (Prä)historische Befunde wie Gräber als kulturimmanente Interaktions- und Kommunikationsräume verstehen, die zu verschiedenen Zeitpunkten über unterschiedliche Zeitspannen diverse Konnotationsebenen haben konnten. Dies gilt ebenso für die Ausstattung der Gräber, die zusammen mit der Grabanlage als Assemblage zu verstehen sind und nach kulturimmanenten Vorstellungen ausgestaltet wurden. Am Beispiel der frühzeitlichen Gräber der Nekropole von Helwan, Op. 4, verweist die bestimmte Position einiger Steingefäßfragmente auf solche kurzlebigen Interkation. So wurden bestimmte Gefäße in ritualisierten Handlungen intentionell zerbrochen und fragmentiert. Die Deponierungen an spezifischen Stellen in den Gräbern lassen sich folglich als Resultat dynamischer und kurzlebiger Prozesse innerhalb der Bestattungspraktik verstehen, die von langfristigen Konzepten, wie bspw. der Totenbehandlung und -Versorgung zu trennen sind. Damit gewinnt die Bewertung archäologischer Objekte sowie deren kontextuelle/konzeptionelle Einbindung einen bisher wenig beachteten Stellenwert im Rahmen der Bestattungspraktiken der ägyptischen Frühzeit. Die Bearbeitungsstandards des 19. und frühen 20. Jahrhunderts fokussierten vor allem eine nach Gattung getrennte Objektbewertung, die zu einer sprichwörtlichen De-Konstruktion des Grabraumes führten eine gesamtheitliche Wahrnehmung des Kontexts erschweren, bzw. die Bewertung von Zusammenhängen kaum ermöglichten. Daher fokussiert dieser Beitrag eine Neubewertung dieser Altgrabungen ausgehend von den neuen Erkenntnissen über das intentionelle Fragmentieren von Steingefäßen in Helwan, Op. 4.

 

12:30 Mittagessen

 

SESSION 3 (Chair: Hans Peter Hahn, Univ. Frankfurt/Main)

14:00 Alexander Marx (Univ. Wien): Heiliges Land – Orientalismus – Eschatologische Heterotopie. Die Predigt der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert

Dieses Paper versucht idiosynkratische historische Konzepte (das Heilige Land und die christliche Eschatologie) mit modernen raumtheoretischen Konstrukten (Edward Saids Orientalismus und Michel Foucaults Heterotopie) zu verbinden. Zielsetzung ist also die Verschränkung von Empirie und Theorie, unter gleichzeitiger Reflexion darüber, welchen Mehrwert und welche Erkenntnis man aus einer solchen Verbindung gewinnen kann oder ob die Forschungsergebnisse, ohne Einbezug theoretischer Konstrukte, die gleichen bleiben würden. Der Untersuchungsgegenstand ist dabei die Predigt der Kreuzzüge im Hochmittalter, ein Phänomen, das heute in Predigttexten fassbar ist, die verschriftlicht wurden, da sie bei der tatsächlichen Predigt als Vorlagen dienen sollten. Mittels einer Untersuchung jener Predigttexte wird es uns möglich, den westlichen Diskurs über das Heilige Land zu analysieren, das aus geographisch ferner Perspektive, auf Basis der Bibel, konstruiert und imaginiert wird und auf diese Weise die Vorstellungen, Erwartungen und Motivationen von Kreuzfahrern geprägt hat.

14:40 Roland Prien (Ruprecht-Karls-Univ. Heidelberg): Objekte definieren Räume? Archäologische Raumkonstrukte und ihre Folgen

Zu den zentralen Ansätzen der Archäologie zur Umschreibung geographisch definierter (Kultur-) Räume zählt die Kartierung archäologischer Objekte. Auf der Basis des von Vere Gordon Childe formulierten Leitsatzes zu Archäologischen Kulturen dient diese Herangehensweise seit fast einem Jahrhundert zur räumlichen Abgrenzung und Definition von Kulturen in der Prähistorie, aber auch zur Verortung historischer „Reiche“. Ein Blick auf Beispiele solcher, auf Artefaktverbreitung basierten historischen Räume aus der Frühgeschichte zeigt, dass die zu rekonstruierenden Entitäten nur schwer mit diesen schlichten Werkzeugen zu fassen sind. Darüber hinaus wird der Begriff der Archäologischen Kultur oftmals nur unzureichend reflektiert, obwohl es sich um einen Kerninhalt der archäologischen Wissenschaften handelt.

- ENTFÄLLT KRANKHEITSBEDINGT -

Ersatzvortrag: Henriette Engelke (Univ. Wien): From Score to Screen: (Re)Interpreting Music and (Re)Defining Spaces in Film Adaptations of Operas

Die Auseinandersetzung mit Räumen und Orten in den audiovisuellen Medien eröffnet ein breites Themenspektrum. Wenn wir nun die Musik und/oder Klanglandschaft einer Opernverfilmung untersuchen und „Adaption als Adaption“ verstehen – wie Linda Hutcheon (2006) es vorgeschlagen hat –, werden weitere Fragen aufgeworfen, die sich aus der wechselseitigen Beziehung zwischen dem Film und seiner(n) Opernvorlage(n) ergeben: Wie werden im Film Räume oder Orte geschaffen? Inwieweit unterscheiden sich diese geschaffenen Räume oder Orte von denen der Opernvorlage? Und welche Rolle spielt die Musik hierbei?

15:20 Martina Kaller (Univ. Wien): Transgressing Post-colonial Borders in Common Land. Yucatán Maya migrants to British Honduras and Guatemala in the 19th ct.

- ENTFÄLLT -

 

16:00 Kaffeepause

 

SESSION 4 (Chair: Dieter Merlin, Univ. Wien)

16:30 Laura Katharina Mücke (Univ. Wien): Rezeptionsräumlichkeit(en). Filmische Raumbegriffe der Erfahrungsanalyse

Unter dem Begriff „Immersion“ wird landläufig ein intensives Versinken in der Ästhetischen Erfahrung begriffen, das mithin als durch die einwebende Konstruktion der Räumlichkeit des medialen Artefakts befördert verstanden wird. Soll jene These allerdings analytisch angewandt werden, so fällt auf, dass die Raumbegriffe, welche in der Filmwissenschaft genutzt werden – etwa jene von Rohmer, Lotman, Persson –, eine mangelnde Betrachtung der Erfahrungsräumlichkeiten bieten. Ein solcher Fokus ist jedoch in Zeiten des Post Cinema und der Migration von Filmbildern an eine Vielzahl an neuen Örtlichkeiten unumgänglich geworden.

Im Vortrag werden zwei verschiedene zeitgenössische Filmformate, in denen Räumlichkeit insbesondere im Fokus steht, analysiert und damit das filmische Begriffsspektrum zum Raum in die Richtung einer Erfahrungsräumlichkeit erweitert: der VR-Kurzfilm Glaube aus Dani Levys Reihe Geschichten aus Jerusalem (2018) sowie der Desktop-Film Profile (2018). In beiden Filmen steht nicht nur die dezidiert politische Botschaft im Fokus, sondern erst durch die erfahrungsräumliche Konfiguration wird der Raum zum eigentlichen Protagonisten der Szenerie. Beide Filme sprechen damit nicht nur für die Notwendigkeit einer Neujustierung filmischer Raumbegriffe im Zeitalter des Post Cinema, sondern auch davon, dass der Begriff der (räumlichen) Immersion in politischer Perspektive neu evaluiert werden muss.

17:10 Simon Ganahl (Univ. Wien): Campus Medius: Medialität als Erfahrung

Campus Medius erforscht und erweitert die Möglichkeiten der digitalen Kartografie in den Kultur- und Medienwissenschaften. Das Projekt entwickelt sich von einer historischen Fallstudie zu einer Mapping-Plattform. Die ursprüngliche Version von campusmedius.net besteht aus einer interaktiven Karte mit Zeitleiste, die ausgewählte Ereignisse innerhalb von 24 Stunden am Wochenende des 13. und 14. Mai 1933 in Wien darstellt. Die neu entstehende Version der Website fokussiert zusätzlich auf das Hauptereignis dieses beispielhaften Zeit-Raums: eine austrofaschistische „Türkenbefreiungsfeier“ im Schlosspark Schönbrunn, deren Verlauf in drei unterschiedlichen Interfaces vermittelt wird – aus der Vogelperspektive, dem Panorama und der Street View. Das Ziel von Campus Medius ist der Aufbau einer kollaborativen Plattform zum Mapping alltäglicher Medienerfahrungen.

 

19:00 Gemeinsames Abendessen

 

FREITAG | 31.01.2020 | 9–21 Uhr

Blickle Kino, Belvedere 21, 1030 Wien

9:00 KEYNOTE 2 Hartmut Winkler (Univ. Paderborn): Medien übersetzen zwischen Zeit und Raum

Martin Reinhart und Virgil Widrich haben vor 20 Jahren das Experiment gemacht, die Zeitachse eines Films gegen eine seiner Raumachsen zu tauschen. Und das Resultat ist ästhetisch ebenso befremdlich wie spektakulär. Vor allem aber ist es für die Theorie interessant, weil Raum und Zeit im Alltag ja keineswegs austauschbar sind.

Und dennoch ist das Experiment keineswegs so exotisch, wie man denken sollte. In meinem Vortrag möchte ich zeigen, dass Medien auf vielfältige Weise mit Raum und Zeit experimentieren; Raum kann in Zeit überführt werden, und Zeit in Raum; Raum und Zeit werden auf immer neue Weise verformt, Probleme der einen Sphäre werden mit den Mitteln der anderen sichtbar gemacht. Zeit und Raum erweisen sich als ‚relativ‘ und als abhängig voneinander.

Ich werde Fälle vorstellen, die das fragliche Feld beleuchten, und auf Beispiele aus der Medienkunst und durchaus kuriose Einzelprojekte, auf Alltagsanwendungen und Zufallsfunde zurückgreifen. Diese möchte ich konfrontieren mit bestimmten Basisannahmen, die die Medientheorie zum Thema bereitgestellt hat. Hier soll deutlich werden, dass es nicht um Randprobleme, sondern im Kern um das Funktionieren der Medien selber geht. In meinem Schlussteil werde ich versuchen, bestimmte theoretische Konsequenzen zu ziehen.

 

10:00 Kaffeepause

 

SESSION 5 (Chair: Christoph Leschanz, Univ. Wien)

10:30 Marc Bonner (Univ. Köln): Open World – Konzepte der Raumtheorie als transdisziplinäres Analysemodell zur Erforschung komplexer digitaler Spielwelten

Ob als vom Meer umtoste Inselwelten, von steilen Hängen begrenzte Bergtäler oder zum Horizont reichende Häusermeere – Open-World-Computerspiele, wie Red Dead Redemption 2 (2018) oder Assassin’s Creed Odyssey (2018) simulieren eine kohärente, den Entdeckerdrang evozierende Weite, die sich aus einem komplexen Netzwerk unterschiedlicher topographischer Involvierungsstrategien konstituiert. Die Erkundung und Aneignung von Stadt- und Naturlandschaften in derart „weltförmigen Hallen“ (Sloterdijk 2005; Asendorf 2016) ist zum Selbstzweck geworden. Die urbanen, rurbanen oder ruralen Verräumlichungen sind nicht nur medienspezifische Destillate zivilisationshistorischer Verhaltensmuster, sondern auch Illusionsräume bzw. Weltinszenierungen, die evidente Gemeinsamkeiten mit Nationalsparks, Landschaftsgärten, Themenparks, Weltausstellungen und Panoramen aufweisen.

Um der Komplexität und Medienspezifik der Architektonik der immer größer werdenden digitalen Spielwelten gerecht zu werden, ist die Erarbeitung eines transdisziplinären Analysemodells nötig. Dabei wird sowohl auf die technische Verfasstheit des digitalen Bildmediums als auch auf Struktur und Vermittlung des spielimmanenten Raums sowie dessen Perzeption und raumlogische Aneignung durch die Spieler*innen fokussiert. Mit eigens konzipierten Terminologien wie u.a. open world chronotope, prospect pacing oder striated wilderness wird es möglich die Open World aus akademischer Sicht zu definieren und analytisch greifbar zu machen.

Das hermeneutische Analysemodell konstituiert sich dabei aus einer Reihe von Forschungsdisziplinen zu denen auch die Raumtheorie sowie die Philosophie gehören. So sind der glatte sowie der gekerbte Raum (Deleuze/Guattari 1992) ebenso zentral, wie Michel de Certeaus Anmerkungen zur Gehrhetorik (1980) oder Kevin Lynchs cognitive map (1960). Diese werden mit Konzepten der Phänomenologie (Merleau-Ponty 2011; Ingold 2011; Malpas 2018), der prospect-refuge theory (Appleton 1975) sowie des Chronotopos (Bachtin 2014) und der Rhythmusanalyse (Lefebvre 2014) verbunden.

Der Vortrag soll zunächst die Charakteristika des spielimmanenten Raums sowie des digitalen Bildes kurz darlegen. Darauf aufbauend werden dann Aspekte des transdisziplinären DFG-Forschungsprojekts „Offene-Welt-Strukturen: Architektur, Stadt und Landschaft im Computerspiel“ (Bonner 2017-2020) mit besonderem Blick auf die Anwendung des verschiedene Raumtheorien synthetisierenden Analysemodells vorgestellt.

11:10 Katja Kaufmann / Tabea Bork-Hüffer / Martin Rutzinger (Univ. Innsbruck / Univ. Klagenfurt / ÖAW Wien): Die Mischung macht’s? Mixed Methods zur interdisziplinären Erforschung von Raumwahrnehmung im Zeitalter von Extended Realities

Der Vortrag stellt das interdisziplinäre Projekt „DigitAS – The Digital, Affects and Space“ vor, das Methoden zu entwickeln sucht, mit denen das Erleben von öffentlichen Räumen in Zeiten zunehmender „cON/FFlating spaces“ (Bork-Hüffer & Yeoh, 2017), d.h. interdependenter und sich durchdringender ONline- und OFFline-Räume, ganzheitlicher erforscht werden kann. Die Nutzung von digitalen Medien auf mobilen Augmented Reality-Geräten wie Smartphones und Wearables lässt zunehmend die Grenzen zwischen Online- und Offline-Räumen verschwimmen. Was lange nur in Science Fiction-Visionen und Laborsituationen möglich war, wird immer mehr alltägliche Lebensrealität von Nutzer*innen und spielt eine immer stärkere Rolle für unsere Wahrnehmung und unser Erleben von (öffentlichen) Räumen.

Gleichzeitig kommen sozialwissenschaftliche Methoden angesichts der Dynamik dieser digitalen Entwicklungen aber – insbesondere in der Untersuchung von komplexen lebensweltlichen Umgebungen – zunehmend an ihre Grenzen. Kontraproduktiv wirkt im Bemühen um innovative Ansätze auch das nach wie vor stark verbreitete und nur allmählich überwundene methodische „Silo-Denken“, sei es zwischen quantitativen und qualitativen, repräsentationalen und nicht-repräsentationalen, in-situ und ex-post Verfahren.

DigitAS verfolgt daher einen neuartigen Mixed Methods-Ansatz als Antwort auf diese komplexen transdisziplinären Herausforderungen: Geplant ist, georeferenzierte mobile Eye-Tracking-Verfahren mit klassischen qualitativen Interviews zu kombinieren, um das affektive Erleben in der Nutzung digitaler Technologien in öffentlichen Räumen sowohl in-situ zu erfassen, als auch den Studienteilnehmer*innen eine Möglichkeit zur Ex-Post-Reflexion ihres emotionalen Erlebens dieser digital verwobenen Räume zu geben. Durch die interdisziplinäre Konzeption und Durchführung des Projekts unter Beteiligung von Geographie, Kommunikationswissenschaft und Technikfolgenabschätzung möchten wir dabei auch epistemologische Brücken bauen und die jeweiligen Sichtweisen unserer Disziplinen erweitern. 

 

11:50 Kaffeepause

 

SESSION 6 (Chair: Nora Kuch, Univ. Wien)

12:20 Christian Hißnauer (HU Berlin): Das Raum-Zwischenraum-Modell. Zur Theorie medialer Raumproduktion

Fragt man aus einer sozialkonstruktivistischen oder medien- bzw. kulturgeographischen Perspektive nach der Rolle von Medien im Prozess der Raumproduktion, so geht es darum, wie durch Texte Raum produziert wird. Eine solche Frage ist durchaus intermedial zu beantworten. Die Frage, wie in Texten Raum konstituiert wird, ist hingegen nur medienspezifisch sinnvoll zu beantworten.

In meinem Beitrag soll aus literatur- und medienwissenschaftlicher Sicht skizziert werden, wie man Henri Lefebvres Raumtheorie nutzbar machen und zu einer Theorie (inter)medialen Raumproduktion erweitern kann.

Zur Diskussion stellen möchte ich dafür das Raum-Zwischenraum-Modell, das ich zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Claudia Stockinger entwickelt habe. Es passt Medien nicht einfach in das Theoriekonzept Lefebvres ein oder übernimmt lediglich seine triadische Struktur, wie es bisherige literatur-, medien- und/oder kommunikationswissenschaftliche Adaptionen seiner Raumtheorie wahlweise versuche haben.

Vielmehr kombiniert es Lefebvres sozialkonstruktivistische Raumtheorie mit dem semio-pragmatischen Ansatz der Medienlektüre/Sinn- bzw. Bedeutungsproduktion von Roger Odin. Dabei wird sich zeigen, dass die mediale Raumproduktion als vermittelndes Dazwischen der sozialen Raumproduktion nach Lefebvre aufgefasst werden kann, das quasi die Zwischenräume der räumlichen Praxis (materielle Produktion), der Raumrepräsentationen (Wissensproduktion) und der Repräsentationsräume (Bedeutungsproduktion) schließt bzw. zwischen ihnen vermittelt.

Das Modell zielt insgesamt darauf ab, eine allgemeine Rahmentheorie zu entwickeln, die nach verschiedenen Seiten hin anschlussfähig ist und so auch unterschiedliche Forschungsansätze und -perspektive bündeln bzw. integrieren kann.

13:00 Soonim Shin (Wien): Erhaltene ehemalige Wiener Synagogen – Raum wofür? [Film]

In seinem 1967 im Verlag Fritz Molden in Wien erschienenen Buch „Wie die Macht schmeckt“ kritisierte Ladislav Mňačko die damalige kommunistische Diktatur in seinem Heimatland, der Slowakei. In seinem Buch erzählt Mňačko, dass eine „alte Synagoge“ als „Rohstoffsammelstelle“ für Altpapier benutzt, also zweckentfremdet wurde. 

Wurden auch im Wien der Nachkriegszeit Synagogen für andere Zwecke genutzt? 2013 schrieb Nora Mundigler im Vorwort zu ihrer an der Universität Wien angefertigten Diplomarbeit: „Die Synagogen Wiens sind aus unserem Stadtbild verschwunden.“ Jedoch sind nicht alle Wiener Synagogen „aus unserem Stadtbild verschwunden“. Vor 1938 gab es in Wien 26 Synagogen und über 70 Bethäuser. Einige davon überstanden zwar die Nazizeit, wurden danach aber – wie zum Beispiel die Synagoge in der Ottakringer Hubergasse im Jahre 1970 – demoliert. Andere Synagogengebäude sind bis heute erhalten geblieben, werden aber nicht mehr als Synagoge benutzt. Ein Beispiel ist die ehemalige Vereinssynagoge in der Unteren Viaduktgasse 13, die 120 Sitzplätze hatte. Heute befindet sich dort das Atelier von Christian Ludwig Attersee. Ein anderes Beispiel ist die frühere – 600 Personen fassende – Synagoge in der Brigittenauer Kaschlgasse 4, die von 1989 bis 2009 als Billa-Filiale diente und danach leer stand. Die Eigentümerin, die Israelitische Kultusgemeinde (IKG), hat in dieser ehemaligen Synagoge vor kurzem einen „Stauraum“, also Abstellabteile zum Mieten für Privatpersonen, einrichten lassen. Wie die „Wiener Bezirkszeitung“ am 19. November 2019 berichtete, habe sich der Besitzer an den „Localstorage“-Betreiber gewandt, weil diese Firma darauf „spezialisiert“ sei, „kreative Lösungen für unterbewertete Immobilien zu finden“.

Sollen die erhaltenen ehemaligen Wiener Synagogen „wiederbelebt“ werden – und wenn ja, wie? 1986 wurde im hessischen Gelnhausen eine Synagoge „kulturelle Begegnungsstätte“. Ist das ein Modell für Wien?

 

13:40 Mittagessen

 

SESSION 7 (Chair: Kristina Hutter, Univ. Wien)

15:10 Verena Eitel (HMT Leipzig): Architekturen für die Aufführungskünste – historische Entwicklungen und aktuelle Beispiele

Hinsichtlich der Diskussion um Raumtheorie und die Aufführungskünste fand die architektonische Bedingtheit des Raums bisher wenig Aufmerksamkeit. Dabei stehen Architektur und Spielweisen in unmittelbarer Wechselbeziehung. Die Architektur und Raumordnung im Inneren eines Gebäudes bedient oder legt spezifische Aufführungspraktiken oder Formate nahe – Theater, Konzerthaus, Oper – auch wenn diese natürlich bewusst unterlaufen werden können. Architektur fungiert hier auch als Handlungsanweisung (vgl. Büscher 2014).

Historisch betrachtet beginnt in den 1960er-Jahren, wenn zeitgleich zahlreiche Theaterbauten neu oder wiederaufgebaut bzw. umgebaut werden, ein Nachdenken über räumliche Anforderungen veränderter Spielweisen, zum einen angetrieben durch Kunstströmungen wie Aktionskunst, Happening und Fluxus zum anderen durch ein verändertes Verständnis von Raum als Inszenierungsparameter.

Ab Mitte der 1980er-Jahre entstehen dann die ersten Produktionshäuser der sogenannten freien Szene (z.B. Kampnagel Hamburg). Dabei spielt die Aneignung und Umnutzung von Gebäuden, im Besonderen auch von Industriearchitekturen, eine wichtige Rolle. Trotz ihrer jeweiligen Umgestaltung zu Spielstätten behalten diese Bauten eine Eigendynamik. Dies betrifft den Standort und die Architektur des Gebäudes ebenso wie seine Materialien und die sich darin eingeschriebene Nutzungsgeschichte. Daraus resultieren architektonisch anders beschaffene Räume für Aufführungen, die häufig nicht nach Kunstsparten getrennt, sondern gleichermaßen für Konzert, Performance, Tanz, Ausstellung usw. bis hin zur Diskurs-Veranstaltung genutzt werden.

In diesen Beispielen geht es um Erweiterungen bzw. Überschreitungen des Bautypus‘ Theater. Offenheit, Durchlässigkeit und Beweglichkeit sind Kennzeichen dieser Architekturen, in denen künstlerische Programme umgesetzt und Produktionsweisen erprobt werden, die sich jenseits spezifischer Sparten oder Kunstgattungen bewegen. Temporäre, variable und sich überlagernde Nutzungen vom Aufführungsraum über das Gebäude bis hin zu gesamten Arealen sind repräsentativ für diese Art von Aufführungsorten.

In Anbindung und zugleich kritischer Distanz zur klassischen Theaterarchitektur erleben temporäre und mobile Aufführungsanordnungen in den letzten Jahren hohe Aufmerksamkeit. Bei der Nutzung nicht theatergenuiner Räume, provisorischer Umnutzung oder Festivalarchitekturen im öffentlichen Raum entstehen Schnittstellen zwischen Architektur, Stadtplanung, Kunst und Intervention.

Anhand dieser Beispiele kann die Bedeutung und Wirkweise von Architekturen unterschiedlichster Art für die Aufführungskünste aufgezeigt werden.

15:50 Ingrid Cogne (Akademie der bildenden Künste Wien): Choreography and Dramaturgy of Knowlegdes

 

16:30 Kaffeepause

 

SESSION 8 (Chair: Henriette Engelke, Univ. Wien)

17:00 Franz Kröber (FU Berlin): Endlose Räume und fragmentierte Welten. Überlegungen zum diegetischen Raum anhand von seriellen Dystopien

Schmidt (2013) führt für die Untersuchung des filmischen Raums die Unterscheidung zwischen diegetischem, narrativem, audiovisuellem Bild- und Genreraum ein (vgl. S. 110f.). Der diegetische Raum ist laut Schmidt eine „Raumhypothese“ und wird „im Prozess des Filmverstehens zunächst als analog zum Raum unserer Alltagswahrnehmung gedacht, mit Eigenschaften wie Dreidimensionalität, Homogenität und Kontinuität“ (ebd., S. 117).

Dieses Konzept basiert auf dem Diegese-Begriff von Souriau, der wiederum in der Forschung zu Fernsehserien mitunter mit Skepsis betrachtet wird. Feuer (1986) lehnt ihn für Fernsehserien ab, da er mit der Vorstellung von unveränderbaren Welten einhergehe, Serien aber unabgeschlossen seien (S. 104). Das Ausweichen in der Serienforschung auf Termini wie ‚serieller Raum‘ (Paulicks 2017) oder ‚storyworld‘ (Mittell 2015) mag ein weiterer Ausdruck des Zweifels an der Eignung des Diegese-Konzeptes für fernsehserielle Erzählungen sein.

Anhand ausgewählter serieller Dystopien soll diskutiert werden, inwiefern der Begriff des diegetischen Raums für seriell-filmische Erzählungen geeignet ist. Diese Serien eignen sich als Untersuchungsgegenstand, weil sie häufig klar voneinander abgegrenzte topographische und semantische Räume darstellen, die eine Segmentierung im Zuge der seriellen Erzählung erleichtern. Die Veränderbarkeit von Räumen dieser Serien wird nicht nur durch ihre Entfaltung im filmisch-seriellen discours deutlich, sondern auch in der Porosität ihrer Topographie, die wiederum in Karten und anderen räumlichen Repräsentationsmodellen gespiegelt und kommentiert wird.

17:40 Dieter Merlin (Univ. Wien): Un*Ordnung im Masterspace – zur Fluidität der filmischen Raumwahrnehmung

In der Filmtheorie wird weithin davon ausgegangen, dass im Spielfilm diegetische (durch die Fiktion erzeugte) Räume, im Dokumentarfilm dagegen reale (im außerfilmischen Sinn existente) Räume repräsentiert werden. Wenn diegetische Realitäten im Spielfilm, was meist unstrittig ist, nun mentale Konstruktionen der kreativen Teams sind, die den Film auf materieller Ebene hervorbringen, und ebenso der Rezipient*innen, die das kreierte Produkt wahrnehmen; und wenn auch Dokumentarfilme, wie u.a. Comolli (2012 [frz. 1969], 220) behauptet, „die gefilmten Ereignisse […] einer kinematographischen Perspektive unterw[erfen]“ und ihnen dadurch „eine filmische Realität“ verleihen, die sich ihrer ursprünglichen, eigenen Realität hinzufügt […] oder von ihr abgezogen wird, die sie de- oder hyperrealisiert, sie aber in jedem Fall leicht fälscht und auf die Seite der Fiktion zieht“; dann ist nicht einsichtig, warum im Hinblick auf Dokumentarfilme nicht ebenfalls von einer „Diegetisierung“ (Odin 2000, 18 et passim) gesprochen werden kann, sei es auf Produktions- oder Rezeptionsseite.

Umgekehrt greifen auch Spielfilme auf Aspekte der außerfilmischen Realität – u.a. auf deren Räumlichkeit – zurück. Souriau (1997 [frz. 1951], 146f.) ordnet diesen Aspekten mit dem Begriff der „afilmischen Realität“ eine eigene Ebene innerhalb der Filmwahrnehmung zu. So wurden z.B. die schneebedeckten Colorado Rockies in Tarantinos Spätwestern THE HATEFUL EIGHT (USA 2015) nicht eigens für den Film konstruiert; sie verweisen auf die afilmische Realität, die bereits vor den Filmaufnahmen existierte. In dem genannten Film werden sie jedoch (via Schrift-Insert) als Teil Wyomings ausgegeben, d.h. die Mehrzahl der Zuschauer*innen nehmen sie in der diegetischen Realität ausschließlich als Berge dieses weiter nördlich gelegenen US-Bundesstaates war. Wenn jemand unter den Zuschauer*innen über Informationen zu den Dreharbeiten verfügt oder zufällig genau das im Film verwendete Bergmassiv kennt, dann liegt eine hybride Identifizierung des im Film faktisch gezeigten Raumes vor: Er wird von der betreffenden Person gleichzeitig der (im afilmischen Sinn realen) Geographie Colorados und der (im diegetischen Sinn realen) Geographie Wyomings zugeordnet.

Lässt sich aus diesen Beobachtungen schließen, dass die Raumkonzeptionen im Spielfilm und im Dokumentarfilm – da in beiden Fällen afilmische und diegetische Realitäten aktiviert werden – keine grundlegenden, d.h. ontologischen Unterschiede aufweisen? Muss das Wahrheitsparadigma, traditionell mit dem Dokumentarfilm assoziiert, dann dem Spielfilm hinsichtlich seiner Raumkonzeption partiell zuerkannt und dem Dokumentarfilm partiell aberkannt werden? Diese Fragen sollen in dem geplanten Beitrag auch in Bezug auf die auditive Ebene der Filmwahrnehmung erörtert werden, insbesondere im Hinblick auf die räumliche Verortung menschlicher Stimmen. Letztere können, wenn sie aus dem visuellen Off-Space kommen, im Spiel- wie im Dokumentarfilm den diegetischen Raum erweitern; sie bergen im fiktionalen wie faktualen Kontext dramaturgisches Potential: „Stimmen, die der Diegese zugehören, sind nur scheinbar gesichtslos, körperlos oder ortlos; vielmehr verkörpern sie eine numinose Macht, die jederzeit auch visuell wahrnehmbarer Körper werden kann“ (Wulff 2011). Andererseits ist der diegetische Status mancher Stimmen höchst fragil: sei es im Voice-Off – was per se ein paradoxer Begriff ist: eine Stimme, die aus dem visuellen Off-Space kommt, befindet sich im auditiven On-Space, warum spricht man dann nicht von Voice-On? – oder auch im Voice-Over, bei dem oft unterstellt wird, es handle sich um ein extradiegetisches Phänomen (vgl. Kuhn 2013, 188ff.); doch wo beginnt und endet die Diegese, wenn z.B., wie in Wendersʼ DER HIMMEL ÜBER BERLIN (BRD/F 1987), die Stimme eines Engels ertönt?

 

18:20 Weinempfang

 

19:00 Filmprojektion: Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1920, Robert Wiene)

Ein Juwel der Stummfilmzeit, welches prädestiniert ist, die künstlerische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Raum (Mehrdimensionalität/Flächigkeit, Realismus/Illusion) zu veranschaulichen: Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1920) ist ein Klassiker des filmischen Expressionismus und vermittelt durch seine spitzwinklige Kulisse eine unrealistische Geschlossenheit von Raum, deren bedrohliche Einengung das Publikum an seine Grenzen treibt.

Eintritt frei – Zählkarten unter https://www.belvedere.at/event/das-cabinet-des-dr-caligari.